Artikel im Schaffhauser Bauer vom 12. November 2020
«Ein Händedruck für unsere Arbeit»
Weine vom Weingut Aagne der Familie Gysel in Hallau überzeugen Juroren im In- und Ausland immer wieder. Dieses Jahr hat der Grand Prix du Vin Suisse neben Gold und Silber den Titel des besten Riesling-Silvaners eingebracht. Weingutbetreiber und Önologe Stefan Gysel steht dem «Schaffhauser Bauer» Red und Antwort zum Erfolg, sagt, was dahintersteckt und was ihn zurzeit als Weinmacher besonders beschäftigt.
«Schaffhauser Bauer»: Stefan Gysel, nicht zum ersten Mal werden Weine von Aagne Familie Gysel mit Gold und Silber ausgezeichnet, auch nicht am Grand Prix du Vin Suisse. Heuer kam am Grossen Preis des Schweizer Weins jedoch noch die Kürung Ihres Riesling-Silvaners zum besten Riesling-Silvaner Wein 2020 dazu. Wie schaffen Sie solche Erfolge?
Stefan Gysel, Inhaber, Önologe Aagne Familie Gysel, Hallau: Ich glaube, bewusst «schaffen» kann man das nicht.
Ich kann nicht sagen: Jetzt mache ich einen Medaillenwein. Wir gehören zu den Weinbauern wie andere auch, die
alles daran setzen, gute Weine zu produzieren. Der Erfolg liegt ausserdem nicht in mir als Person begründet. Es
ist eine Teamarbeit, das Wissen dazu wird über Generationen weitergeführt. Zudem sind es die ganze Region und
die hiesige Weinbranche, welche die Plattform bieten, dass ein einzelner Player sich entwickeln und vorwärts gehen kann. Und schliesslich gehört zu einem ersten Platz in einer Prämierung auch ein Quäntchen Glück.
Warum Glück?
Die Weine, die ganz vorn nominiert sind, haben alle eine sehr gute Qualität. In dieser Situation zu behaupten,
der Gewinnerwein sei ganz klar der beste, das wäre vermessen. Ich bin selber als Jurymitglied aktiv und weiss:
Man gibt sich Mühe, objektiv zu sein. Aber wir alle sind Menschen mit unseren subjektiven Vorlieben, und diese
entscheiden ebenfalls mit. Doch dass wir immer wieder vorne mitmischen ist ein Händedruck für unsere Arbeit. Wir geben Jahr für Jahr unser Bestes mit seriöser, qualitativer Arbeit in den Reben, am Rebstock und dann bei der Weinpflege. Und wir versuchen laufend, uns noch zu verbessern. Wenn man so will, ist das die Grundlage des Erfolgs. Doch wir «machen» keine Medaillenweine. Das ist auch nicht unser Ziel.
Welches Ziel streben Sie denn an?
Wir machen Weine, welche die Menschen erfreuen sollen. Und wenn eine Jury unsere Weine positiv beurteilt, ist
das schön, eben, ein Händedruck für uns – und auch unsere Kundschaft fühlt sich in ihrer Wahl bestätigt. Das
wiederum ist auch gut für uns. Denn es ist schon lange nicht mehr so, dass ein Kunde über Jahrzehnte Kunde bleibt.
Die Konsumentinnen und Konsumenten kaufen heute gerne immer wieder an neuen Orten ein.
Also haben Sie als Winzer und Önologe kein «Geheimnis», das zu diesen Erfolgen führt?
Nein, die meisten Kollegen aus der Branche wissen, wie wir von Aagne unsere Weine keltern. Und es ist auch
kein Geheimnis, dass die gleiche Traubensorte im gleichen Rebberg von verschiedenen Winzern verschiedene
Weine ergibt. Das macht unsere Weinlandschaft so spannend. Der heute wichtige Begriff «Terroir» legt den
Schwerpunkt auf den Herkunftsboden eines Weins. Doch die Menschen, welche an diesem Rebstock arbeiten und
beim Keltern mit dem Wein unterwegs sind, sie geben ihre Handschrift, und das macht die Unterschiede verschiedener Weine einer Region erst richtig aus. Wir Menschen können einen Unterschied machen, das ist ja gerade das Spannende daran.
Kommen wir nochmals auf die Jury zurück – Sie sind selbst als Juror aktiv, wie werden Interessenskonflikte bei
den Weinprämierungen vermieden?
Für den Grand Prix du Vin Suisse kann jeder Schweizer Winzer seine Weine einreichen. 2020 waren es über 3000 Weine. Diese werden in verschiedene Kategorien eingeteilt und von Teams à je sechs Fachpersonen degustiert. Dabei wird dafür gesorgt, dass ein Wein nicht dem Team zugewiesen wird, in dem der Hersteller verkostet. Zudem findet die Verkostung blind statt. Ich weiss also nicht, welche Weine ich degustiere. Und ich bin bei den vielen Qualitätsweinen nicht sicher, ob ich meinen eigenen herausschmecken würde. Bei den sechs Weinen mit den höchsten Punktzahlen pro Kategorie, aus denen der Jahressieger gekürt wird, verkostet zudem niemand, der selber Weine angemeldet hat. Es besteht keine Gefahr, dass sich jemand selbst das Krönchen gibt. Es ist im Gegenteil wichtig, dass auch die Weinproduzenten bei solchen Anlässen mitmachen können. Denn die Beurteilung von eben mehr als 3000 Weinen braucht viele Fachleute, die sich zur Verfügung stellen. Wir Winzer sind froh, dass es diese Plattform für unsere Weine gibt und wir zeigen können, dass unsere Tropfen qualitativ mit ausländischen mithalten können. Diesbezüglich werden wir nach wie vor unterschätzt. Doch der Wein muss nicht um die halbe Welt reisen, dass er mundet.
Riesling-Silvaner ist die traditionelle weisse Hauptsorte im Schaffhausischen – was bedeutet es für Sie, dass Sie heuer damit einen solchen Erfolg hatten.
Es macht Spass, dass wir die Auszeichnung für die traditionelle einheimische Hauptweissweinsorte bekommen haben. Wir setzen auf einen Mix aus Tradition und Spezialitäten. Sorten haben sich etabliert, die es vor dreissig Jahren in unserer Region noch nicht gab. Doch wir sind überzeugt, dass die Hauptsorten Riesling-Silvaner und Pinot noir die Grundpfeiler sind. Wenn man diese zeitgemäss vinifiziert, haben sie ihren Markt. Nicht nur Neues soll gut sein, sondern auch Bewährtes, jedoch angepasst an die heutige Zeit. Unser prämierter Riesling-Silvaner hat nichts mehr mit einem Riesling-Silvaner früherer Jahre zu tun, auch wenn er aus der gleichen Traubensorte stammt.
Was ist anders geworden in den letzten Jahrzehnten?
Die Gaumenansprüche und die Mündigkeit der Kundinnen und Kunden sind gestiegen. Sie würden einen Wein nicht mehr schätzen, wie er zu früheren Zeiten getrunken wurde. Heute trinkt man lieber einen Schluck weniger, dafür aber guten Wein. Viele der Konsumentinnen und Konsumenten kennen sich gut aus. Sie wissen, was ihnen gefällt und was nicht. Auf der Herstellerseite ist der Wein durch die Mengenbegrenzung besser geworden und das Know-how ist gestiegen. Das
musste auch so sein. Denn in den 1990er-Jahren wurden Importzölle auf Wein abgeschafft. Seither sind unsere
Weine jedem ausländischen Wein, der noch billiger und vermeintlich besser ist, gegenübergestellt. Das war und ist
eine Herausforderung. Doch für die Qualität hat dieser Druck riesige Verbesserungen gebracht.
Kann man denn jetzt überhaupt noch Substanzielles verbessern?
Die Winzer und Weinmacher, die nach uns kommen, werden wohl auch sagen, dass man nicht verkaufen könne, was wir produzieren. Aber ich glaube, die grossen Schritte zur qualitativen Verbesserung hat man mit der Mengenbegrenzung und der intensiven Stockpflege schon gemacht – damit, dass man nach wie vor so viel Handarbeit in die Reben und die Pflege des Weins investiert. Im Ausland gibt es andere Entwicklungen: Wenn der Wein zu Billigstpreisen verkauft werden soll, kann man dafür nicht manchen Finger bewegen. Zurzeit rückt ins Zentrum, wie wir in einem möglichst hochstehenden ökologischen Kontext qualitativ hochstehend produzieren können. Dabei muss man sich manchmal auch von einer gewissen Prägung aus der Tradition lösen. «Immer so gemacht» heisst nicht, dass es richtig ist. Ich finde es eine spannende Entwicklung, wenn man selber wieder besser weiss, wie die Rebe funktioniert, was sie braucht, was
ihr gut tut und was nicht.
Das Klima ändert sich. Ist das ebenfalls eine Herausforderung?
Wir merken, dass sich etwas verändert – wir haben plötzlich Frühjahrsfröste und häufiger Extremwetterfronten. Regen, der sich sonst über einen Monat verteilte, fällt heute innert wenigen Stunden. Durch die Begrünung können wir Erosion jedoch recht gut verhindern. Zudem ist es sicher nicht kälter geworden. Dass wir jedoch aus einer für den Wein günstigen Klimazone herausrutschen, das werden wir hier wohl nicht erleben. In südlicheren Ländern ist dies jedoch anders.
Planen Sie entsprechend für die Zukunft?
Ja, es gibt Fragen, die man sich stellen muss, wenn man für die nächsten rund vierzig Jahre eine Anlage plant. Macht
das zum Beispiel ohne Hagelschutznetze überhaupt noch Sinn? Muss bewässert werden können? Bis jetzt sind wir es ja höchstens bei Jungpflanzen gewohnt, dass man sie mal wässern muss. Doch ich bin zuversichtlich.
Aber die Herausforderung wächst…
Die letzten Jahre haben in dieser Hinsicht vermehrt herausgefordert, mit kleinen Ernten infolge Frühjahrsfrösten, dann aber grossen, schönen Ernten. Auch wirtschaftlich ist Druck da. Der Weinmarkt ist angespannt. Das hat die Corona-Pandemie infolge der Einschränkungen der Gastronomie noch verstärkt. Wir sind sehr dankbar, dass viele Leute jedoch in ihrem privaten Umfeld Wein geniessen. Unsere treue Kundschaft ist unser Rückgrat. Schade ist es, dass all die Anlässe, an denen man Lebensfreude zelebriert und die unsere Weine begleiten dürfen, so nicht stattfinden können.
Das sind viele Spannungsfelder, in denen sich die Weinbranche aktuell bewegt…
Mit solchen Spannungsfeldern muss man in der ganzen Landwirtschaft umgehen können. Unser Arbeitsumfeld ist
nicht gänzlich planbar. Die Corona-Pandemie hat dies auch in anderen Branchen bewusst gemacht. Eine «Ernte», ob in der Landwirtschaft oder sonst, ist keine Selbstverständlichkeit, und wir dürfen auch wieder lernen, Danke zu sagen.